Wenn deine Welt zu klein ist - Buchhandlung Otherland Berlin

Frisches aus dem Geschäft

Huānyíng Liu Cixin!

| von | (Kommentare: 2)

Andächtiges Schweigen!

Für uns fing die ganze Sache eigentlich am 8. November 2013 an: Damals war SF-Autor David Brin für eine Lesung bei uns zu Gast und legte uns beiläufig ans Herz, die Augen nach dem Buch eines chinesischen Autors namens Cixin Liu offenzuhalten, das demnächst in englischer Übersetzung erscheinen würde. Er hatte Gelegenheit erhalten, das Buch vorab zu lesen, und war begeistert. Wir warteten also bereits gespannt auf The Three-Body Problem, als es 2014 auf Englisch erschien. Die Otherland-Crew wurde sofort von der Begeisterung für diesen Roman angesteckt und gab die Infektion sogleich an die Kunden weiter. Es folgte der erste Hugo-Award für einen chinesischen Autor, Werbung für The Three-Body Problem von Barack Obama, zunehmendes öffentliches Interesse bis weit über die SF-Szene hinaus … und spätestens, als Heyne dann die deutsche Ausgabe ankündigte, fing es an in uns zu arbeiten: Können wir den Star der chinesischen SF nach Berlin bekommen?

Schnellvorlauf zum 17. Oktober 2018: Die ganze Otherland-Crew samt freiwilliger Helferinnen und Helfer ist im Einsatz. Alle sind high vor Aufregung – Veranstaltungen dieser Größenordnung hatten wir mit dem Otherland schon lange nicht mehr, dazu kommt, dass wir mit der Heilig-Kreuz-Kirche einen für uns neuen Veranstaltungsort haben und dass das so ganz nebenbei unsere erste Lesung nicht nur mit einem chinesischen Autor ist, sondern auch mit einem, der uns und die Otherland-Kundschaft in den letzten Jahren mit jedem neuen Buch vom Hocker gerissen hat.

Unglaublich, wie glatt dann alles läuft: Der Raum ist bestuhlt, die Mikros funktionieren, Büchertisch und Einlass sind besetzt, die Kartenreservierungsliste liegt bereit, und ab halb sieben trudeln die ersten Besucher ein. Aus Trudeln wird Strömen, und während wir am Anfang noch denken, dass es wohl bei etwas über 200 bleibt, wird die Endzählung 370 Besucher ergeben!

Während ich benommen zwischen Einlass und Büchertisch herumstehe, kommt Otherlander Wolf zu mir und bemerkt irgendetwas zu dem Thema, dass wir den Autor hoffentlich auch erkennen, wenn er dann eintrifft – ich höre nur mit halbem Ohr zu und sage: „Doch doch, ich habe mir extra noch mal ein Foto angeschaut.“ Wolf: „Er ist gerade an dir vorbeigelaufen.“

Wir bringen Cixin Liu erst einmal in den Hinterraum, wo erst einmal kurzes Begrüßen und Durchatmen angesagt ist. Mit dabei sind Moderator Dietmar Dath (eigentlich für sich schon ein Main Act), Dolmetscherin Jing Bartz, Mark Bremer, der das Hörbuch von Der dunkle Wald produziert und eingelesen hat und bei der Lesung die deutschen Passagen vortragen wird, und Elisabeth Bayer vom Heyne-Verlag. Gemeinsam sprechen wir mithilfe von Jing Bartz den Ablauf durch. Ich habe Gelegenheit, mit klopfendem Herzen mein eingeübtes chinesisches „Willkommen“ („huānyíng“) und „Es freut mich sehr, Sie kennenzulernen“ anzubringen, wobei ich den Eindruck hatte, dass die Dolmetscherin Liu beim letzteren Satz darauf hinweisen musste, dass ich ihn auf chinesisch angesprochen hatte … anschließend üben Simon und ich noch mal die korrekte Namensaussprache. Fängt schon mal lustig an!

Kurz, bevor wir die Gäste dann auf die Bühne bitten (eine halbe Stunde verspätet, weil erst noch die Galerie für die letzten eingetroffenen BesucherInnen geöffnet werden muss), merken wir, dass irgendetwas anders ist als sonst. Das Publikum hat schon gespürt, dass es jetzt gleich losgeht, und als Simon, Wolf und ich nach draußen treten, herrscht absolute Stille. Einen Moment lang sind wir wie erstarrt. Dann betreten Dietmar Dath, Mark Bremer, Jing Bartz und Liu Cixin die Bühne, und der Applaus setzt ein.

Nachdem die Woge schließlich abgeebbt ist, stehen wir angeschwemmt und glücklich da, begrüßen, sagen Dankeschön und übergeben die Moderation dann an Dietmar Dath. Und der ist einfach Dietmar Dath: Gibt ein prägnantes, überraschendes und humorvolles Eingangsstatement zur SF, leitet zu Mark Bremers kurzen Lesepassagen über und stellt Liu Cixin insgesamt nicht mehr als drei Fragen, die es dafür in sich haben. Liu spricht darüber, den Lesern Raum bei der Vorstellung außerirdischen Lebens zu lassen – so treten die wichtigsten Aliens der Trisolaris-Trilogie nie körperlich in Erscheinung –, aber auch von der Notwendigkeit, ihnen menschliche Facetten beizugeben. Von der Verpflichtung der SF auf wissenschaftliche Plausibilität, später auf eine Publikumsfrage aber auch davon, dass all die wissenschaftlichen Elemente in seinen Büchern letztendlich Teil der Fiktion sind und im Dienste der Geschichte stehen und er sich deshalb keine Sorgen darüber macht, dass seine Bücher einmal wissenschaftlich überholt sein könnten.

Bei den Publikumsfragen bitten Liu und Dath dann darum, eine gewisse Parität zu wahren – es sind offensichtlich sehr viele chinesische BesucherInnen im Publikum, und Liu möchte nicht nur von ihnen, sondern auch und vor allem von seinen deutschen Lesern hören. Als Saalmikrofonbeauftrager versuche ich, diesen Wunsch so gut es geht mit den erst vorsichtigen, dann mit einem Mal hektischen Wortmeldungen zu vereinbaren. In schneller Folge geht es um Psychologie und Kunst – Liu ist ein großer Freund moderner Kunst und bemerkt zugleich, er habe den Eindruck, Kunst sei, je moderner sie werde, desto eher durch Maschinen zu imitieren; und er sinniert über menschliche Entwicklungsstufen, auf denen es für die Menschen wahrscheinlich ohnehin nichts mehr zu tun gäbe als Kunst zu schöpfen. Wir erfahren, dass er in seiner Kindheit während der Kulturrevolution nicht viel zu lesen bekam, und dass seine erste SF-Lektüre Reise zum Mittelpunkt der Erde von Jules Verne war. Auf die aus dem Publikum geäußerte Frage, ob seine Interpretation des FERMI-Paradoxons in der Drei-Sonnen-Trilogie vielleicht die Wissenschaft beeinflusst habe, antwortet er bescheiden, dass diese Idee eigentlich so naheliegend war, dass er sicher sei, dass sie schon vor ihm jemand formuliert habe.

Viel zu schnell ist die Publikumsrunde vorbei – wir brauchen Zeit zum Signieren, und nach tosendem Applaus und einer „Jeder bitte nur drei Bücher“-Ansage von uns sammelt sich der Saal zu einer langen Schlange vor dem Podium.

Im Anschluss geht es dann noch zum Griechen Z. Einen Moment lang kommt es uns komisch vor, mit einem chinesischen Autor in Deutschland griechisch Essen zu gehen, aber dann sagen wir uns, dass wir in Wirklichkeit mit einem chinesischen Autor in Europa europäisch Essen gehen – alles eine Frage der Perspektive.

Nach dem erfolgreichen Event sind wir ausgelassen, was dazu beiträgt, dass uns die Kommunikationsbarrieren nicht allzu sehr störend. Jing Bartz schickt lachend Unterhaltungsfetzen zwischen Liu Cixin und den anderen am Tisch hin und her, bei denen es um alles von der Frage, ob die Drei-Sonnen-Trilogie eher optimistisch oder eher pessimistisch sei (zu der Liu Cixin sich aber einfach nicht aus der Reserve locken lassen wollte, sondern sich darauf berief, dass er bloß auf Grundlage einer wissenschaftlichen Idee eine gute Geschichte erzählen wollte) bis hin zu der, ob die Biergläser einen Viertelliter oder einen Fünftelliter enthielten (was ausgiebig und unter großem Gelächter erörtert wurde), geht. Obwohl Liu Cixin, Jing Bartz und Elisabeth Bayer von Heyne bereits einen intensiven Lesungsmarathon von Frankfurt über Essen und Hamburg hinter sich hatten, von dem der Berlin-Auftritt den Abschluss bildete, leisteten sie uns noch bis nachts um eins Gesellschaft. Anschließend wurde dann auf einer duseligen Wolke der Zufriedenheit heimgeschwebt.

Echt schwer zu glauben, was mit so einer Winzbuchhandlung wie unserer manchmal alles möglich ist … danke und xiexie noch einmal an den Heyne-Verlag, an das Konfuzius-Institut, an Dietmar Dath für seine gelungene Moderation und an alle Otherland-Crewmitglieder und Freunde, die uns geholfen haben, dieses Riesending zu stemmen – und an David Brin für den guten Tipp!

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Kommentare

Kommentar von Martin Schröder |

Das mag zwar für euch die falsche Frage sein, aber trotzdem: Das Original ist ja chinesisch. Sind die englischen oder die deutsche Übersetzungen besser? Was sollte man als Deutscher mit den für euer Publikum üblichen sehr guten Englischkenntnissen lesen?

Kommentar von Otherland |

Ehrlich gesagt habe ich die Trilogie nur auf Englisch gelesen, deshalb kann ich über die deutsche Übersetzung keine Aussage machen - abgesehen von der, dass die Passagen, die ich auf unserer Veranstaltung gehört habe, recht vernünftig klangen. Die englische Übersetzung kann ich auf jeden Fall empfehlen!

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